|
Es
war Ende September geworden. Die lang geplanten Touren waren
heuer alle ins Wasser gefallen. Mit den hohen Bergen hatte ich
eigentlich schon abgeschlossen. Da kam plötzlich ein Anruf von
Uli. „Wie schaut´s bei dir kommendes Wochenende aus? Häng noch
zwei Tage dran und wir fahren ins Aostatal!“ Sein Ziel war der
Gran Paradiso. Diesen weit entfernten Gipfel hatte ich noch nie
so recht angepeilt. Aber Uli erzählte schon seit längerem von
der angeblich so tollen Nordwestwand. Kurz entschlossen
entschied ich mich „Also bevor heuer gar nichts mehr geht, auf
nach Italien!“ Aber wie schaut die Wand aus? Um die Jahreszeit
blank? Oder hat es geschneit? Viele Fragen keine Antwort.
Wettertechnisch ist die südliche Lage des Berges eher begünstigt
und die Vorhersage meldete ab Sonntag auch gut. Nur die
Eisverhältnisse bereiteten mir noch Kopfzerbrechen. Da die
Hütten schon geschlossen hatten war auch dort nichts mehr in
Erfahrung zu bringen. Also dann gleich das Zelt mit eingepackt.
Wenn schon denn schon!
Am Freitag stand pünktlich um 16 Uhr Uli vor der Tür. Schnell
noch meinen Rucksack fertig gepackt und für die Verpflegung ein
paar Suppen etc. gekauft. Endlich um 17:30 fuhren wir richtig
los. In Bregenz Abend gegessen und durch den San Bernadino
Tunnel durch. Die Nacht verbrachten wir auf einem Parkplatz in
1200m Höhe. Ein Regenschauer beendete um 6 Uhr ruckartig die
Tiefschlafphase. Hastig wurden die Schlafsäcke verlassen und ins
Auto gehechtet. So schnell kann man also hell wach sein! Auch
die weitere Fahrt nach Aosta gab es einen Niederschlag nach dem
andern.
Durch einen Navigationsfehler des TomTom Gerätes landeten Uli
und ich dann auch noch im Nachbartal. Zu dumm, also wieder
zurück. Endlich kurz vor Mittag war der Wanderparkplatz zum
Refugio Chabod erreicht. Wenigstens hatten die Schauer
aufgehört. Die letzten Sachen wurden gepackt und zur Sicherheit
den Rucksäcken der Regenschutz übergezogen. Außer uns startete
noch eine 12 köpfige Italiener Gruppe von hier zur Hütte. Mit
den großen Rucksäcken konnten wir allerdings nicht mithalten. So
waren Uli und ich schon bald wieder alleine unterwegs. Über
einen guten Weg führte es in ausgedehnten Serbentinen durch den
Wald hinauf. Der Herbst war nicht mehr weit, alles begann sich
zu färben. So spät im Jahr hatte ich noch nie eine Hochtour
gemacht. Die Sicht war sehr schlecht. Um uns hatte sich eine
richtige Waschküche gebildet. Wenigstens regnete es nicht mehr.
Nach der Baumgrenze wurde die Färbung der Sträucher und Gräser
noch prächtiger. Teilweise hatten sich ganze Hänge in rot
getönte Flächen verwandelt. Nach 2 ½ Stunden war die Hütte Chabod auf 2750m erreicht. Da wir ja ein Zelt hatten beschlossen
Uli und ich noch weiter oben eine Übernachtungsstelle zu Suchen.
Die Gipfel waren in dicke Wolken gehüllt. Der markierte Weg
führte auf 2850m an einem schönen Platz vorbei. Zum nächsten
Bach waren es auch nur ein paar Minuten. Kaum war der Rucksack
abgesetzt begann es zu Graupeln. In neuer Rekordzeit bauten wir
das Zelt auf und richteten uns ein. Während sich draußen alles
weiß färbte kochte Uli uns eine lecker Suppe. Mittlerweile war
es 16 Uhr geworden. Der Schauer hatte aufgehört und die
Eiskörner waren teilweise schon wieder geschmolzen.
|
|
Uli beim
Zeltaufbau. |
Stephan
am Wandfuß. |
Um
uns einen Überblick zu verschaffen stiegen wir noch ein Stück
den Weg hinauf. Auf 3000m erwartete uns dann eine geschlossene
Schneedecke. Das beruhigte meine Befürchtung die Wand als
Blankeistour machen zu müssen. Aber wo war diese eigentlich? Die
Sicht war immer noch extrem schlecht. In dieser Höhe sollten wir
doch laut Karte schon in der Nähe des Gletschers sein! Wir
drehten um. Später im Zelt beschlossen Uli und ich den Wecker
mal auf halb fünf zu stellen. Das war eine gute Zeit, da es ab
halb sieben zu dämmern begann. So könnte im ersten Morgengrauen
der Wandfuß erreicht sein. Nach dem Abendessen krochen wir in
die Schlafsäcke und dösten ein. Von schlafen will ich nicht
wirklich sprechen. Mitten in der Nacht ging Uli noch mal raus.
Sternenklarer Himmel sagte er bei seiner Rückkehr. Also gut,
dann ist die Tour ja schon beschlossene Sache.
Meine Uhr klingelte und langsam machte ich mich fertig. Auch im
Nachbarschlafsack begann es lebendig zu werden. Durch eine
Reisverschlussöffnung blinzelten meine verschlafenen Augen in
die Nacht. Ja was war denn das jetzt. Keine Sterne mehr zu
sehen, alles zugezogen!?! Gleich darauf berichtete ich Uli von
der schlechten Nachricht. Der antwortete gar nicht groß, drehte
sich zur Seite und schlief weiter.
9 Uhr, es war hell geworden und ich ging als erster hinaus. Das
Wetter hatte sich gebessert, die Wolken waren teilweise
abgesunken. Zum ersten Mal war der Gran Paradiso zu sehen. Mit
der Nordwestwand zu uns gerichtet. „Whow, die Eisflanke sieht ja
wirklich nicht schlecht aus!“ Uli hatte nicht zu viel
versprochen. Aber was war das!?! Der Gipfel war ja viel weiter
rechts als erwartet. Beim Aufstieg ab der Hütte war uns ein
Fehler passiert. Wir waren dem falschen Weg gefolgt. Unser Zelt
stand auf der Nachbarmoräne des Gipfelzustiegs. Wie kann denn so
was passieren? In der Karte ist dich nur ein Weg eingezeichnet!
Der 50 000er Maßstab mal wieder.
Das bedeutete jetzt für Uli und mich erst mal 50 Meter
absteigen, bevor der richtige Weg erreicht war. Zum Glück ging
das in direkter Falllinie. So ersparten wir uns wenigstens den
Umweg über die Hütte. Es wurde alles für eine Erkundungstour zum
Wandeinstieg fertig gemacht. Auf dem Gletscher weit oben
befanden sich rund zwanzig Bergsteiger. Na dann gab es immerhin
eine gute Spur hinauf. Dieser mussten Uli und ich nämlich erst
einmal folgen. Dann weit oben, geht es durch einen Eisbruch nach
links zum Nordwestwand Einstieg. Der Plan war heute eine Spur
zum Einstieg zu legen und dann morgen die Tour zu versuchen. Die
Wetteraussichten sahen ganz gut dafür aus. Wie gesagt, so getan.
Um 15 Uhr waren wir nach erfolgreicher Spurarbeit wieder am Zelt
angekommen. Den Rest des Tages konnte man sich nun ausruhen und
rumgammeln.
Es war so weit, wieder klingelte meine Uhr um halb fünf. Dieses
mal war es Uli der als erster nach draußen ging. „Es ist
Sternenklar“ waren seine Worte. Am Himmel bot sich ein toller
Blick, tausende von kleinen Lichtern waren zu sehen. Die
Umgebung war dafür zappenduster. Der Mond wäre auch nicht
schlecht gewesen. Aber den Weg werden wir auch mit den
Stirnlampen gut finden. Bald war der Gletscher erreicht. Die
Spur war gut zu erkennen, so dass Uli und ich schnell vorwärts
kamen. Nach gut zwei Stunden war der Einstieg in die Wand
erreicht. Die Spurarbeit vom Vortag hatte sich ausgezahlt. Nun
war es auch schon hell geworden. Schnell richteten wir noch ein
paar Dinge zurecht, dann stiegen wir ein. Sichern war hier noch
nicht nötig und auch fast nicht möglich. Gleichzeitig stiegen
wir hintereinander hinauf. Ab und zu wechselte Uli mich, dann
wieder ich ihn bei der Spurarbeit ab. Dadurch konnte ein sehr
gutes Tempo erzielt werden.
|
|
Uli im
unteren Teil der Nordweswand. |
Im
mittleren Teil der Wand. |
Trotzdem merkte man die Höhe schon. So wurde eine Speedbegehung
schnell vereitelt. Aber wir waren zufrieden mit unserer Zeit bis
zum großen Serack im oberen Wandteil. Ab hier war sichern
angesagt. Die Firnschicht war nur noch wenige Zentimeter dick
und darunter blankes Eis. So sicherten Uli und ich die letzten
drei Seillängen bis zum Nordgrat hinauf. Ich war der erste der
ihn erreichte. Durch einen Durchschlupf in der kleinen Wächte
hiefte ich mich über die Kante. Die andere Seite war nicht
gerade so wie wir sie uns vorgestellt hatten. Auch im Süden fiel
eine Schneeflanke steil hinab. Der Schnee war grobkörnig und
schlecht verbunden. Die Sonne brannte ab jetzt erbarmungslos vom
Himmel. Uli kam nach und wir sicherten gleich weiter. Der letzte
Grataufschwung war noch einmal so richtig fies. Verschneite
Felsen mit diesem blöden Körnerschnee. Uli hatte noch eine ganz
gemeine Stelle vor sich bis der erste Gipfel am Nordgrat
erreicht war. Mit seinem Pickel fegte er regelrecht den ganzen
Schnee von den Griffen und Tritten. Dann war es geschafft.
|
|
Gran Paradiso
Hauptgipfel 4061m. |
Stephan mit
Wilde Hunde Fahne am Madonna Gipfel. |
Der
höchste Punkt war erreicht. Ein paar Meter weiter ragte der
Madonnen Gipfel empor. Dieser war wenige Zentimeter niedriger,
hatte aber dafür die größere Madonna. Nach einer kurzen
Abseilstelle erkletterten wir auch diesen. Endlich Pause machen.
Bis jetzt hatte ich noch fast nichts getrunken. In der kalten
Wand war mir mein Trinkschlauch eingefroren. Ehrlich gesagt war
ich ganz schön fertig an diesem Punkt. Zum Glück war der Abstieg
über den Gletscher nicht mehr all zu schwierig. Viele Leute
waren heute nicht hier hoch auf den Gipfel gekommen. Von dem was
man sonst so liest war es geradezu einsam. Der Blick reichte vom
Mont Blanc bis zum Wallis und noch viel weiter.
Mittlerweile war es früher Nachmittag geworden. Kurz noch die
warmen Klamotten verstaut, dann machten Uli und ich uns wieder
an den Abstieg.
|
|
Uli beim
Verstauen der Klamotten. |
Die Gran
Paradiso Nordwestwand. |
Über
den Gletscher ging das recht flott. Dass der Gegenanstieg auf
unsere Zeltmoräne noch nerven würde dachte ich mir schon. Aber
nach dem Tag waren die knappen 50 Meter zu unserem Platz eine
Frechheit! Fix und fertig erreichten wir das Lager. Halb sechs,
da könnten wir noch absteigen. Also noch kein Ende in Sicht. Uli
kochte eine Suppe, die ich aber kaum runter brachte. Dann bauten
wir alles ab. Die großen Rucksäcke waren nicht leichter
geworden. Was unlogisch war, schließlich hatten wir doch die
Vorräte gegessen. Mit vereinten Kräften schulterten wir die
Ungetüme. Wenigstens geht es nur noch Berg ab! An der Hütte
vorbei wo nur noch eine Person zu sehen war. Dann über die roten
Almwiesen in den Wald hinunter. In der Dunkelheit erreichten wir
überglücklich das Auto.
Unser Fazit, der Gran Paradiso mag unter den 4000er Gipfeln zu
den einfacheren gehören. Aber nur solange man bei guten
Verhältnissen auf dem leichtesten Weg bleibt. Seine anderen
Zustiege können gut mit denen berühmter 4000er mithalten!
|
|