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Der Sage nach gab es einst eine Zeit in der es im Himmel sehr
ruhig war. Der Teufel wollte die Gunst der Stunde nutzen und
griff mit seiner riesigen Kralle nach dem Paradies. Als Gott das
Donnern und Ketöse aus der Tiefe hörte und die Klaue unter sich
auftauchen sah, lies er sie zu Granit erstarren.
So ragt sie heute noch im Mont Blanc Gebiet auf, versteinert und
nach dem Himmel greifend, am Teufelsgrat des Mont Blanc du Tacul.
Es war der 09. August 2010 um zwei Uhr morgens als die Uhr
klingelte. Dass ich deswegen aufgewacht bin kann ich nicht mal
sagen. Eigentlich schläft man hier oben in einem Zelt eher
schlecht als recht. Wir, das waren Uli und ich, hatten nun
bereits 8 Nächte über 3000 Meter in dieser kleinen
Stoffbehausung zugebracht. Eine harte Zeit wenn man bedenkt wie
entbehrungsreich diese Art des Übernachtens ist. Gewitter waren
keine Seltenheit. Noch vor fier Tagen lagen wir in einem
ausgewachsenem Schneesturm die ganze Nacht wach. Die Böen rissen
am Außenzelt. Uli und ich konnten nur hoffen, dass alles halten
würde. Am folge Tag verbesserten wir dann erst mal unseren
Schutzwall. Mit Schneewürfeln wurde die Mauer höher gezogen bis
das Zelt nicht mehr zu sehen war.
Und nun war es so weit, der Tag für den wir hier waren, auf den
wir uns die ganze Zeit vorbereitet hatten war gekommen. Die
Ausdauer und Höhenanpassung war bei der Besteigung des Mont
Maudit 4465m getestet worden. Um das Klettern im Granitfels zu
proben machten wir eine freie Begehung am Dent du Géant 4013m.
Mit Friends und Klemmkeilen bewaffnet war diese Tour bis V+ eine
schöne Sache gewesen. Doch nun wartete ein ganz anderes Kalieber
auf uns.
Die Anspannung war spürbar. Beim Frühstück herrschte Stille und
auch das letzte vorbereiten des Materials ging ohne große Worte
von sich. Einige Seilschaften stapften bereits zu dieser
unchristlich Zeit über den Gletscher. Das Zelt stand nur 15
Minuten vom Rifugio Torino entfernt. Dort hatten wir uns die
letzten Tage öfters mal ein Bier gegönnt. Durch eine Seilbahn
war die Hütte leicht vom Tal aus zu erreichen. Aber man kann
auch ohne große Schwierigkeiten über einen Weg aufsteigen. Es
sei denn der Rucksack wiegt 38kg für eine Woche Aufenthalt hier
oben. Vom Refugio Torino führt dann eine Route zur Aiguille du
Midi hinüber. Diese ist gut begangen und unser Biwakplatz lag
direkt an dessen Spur. So herrschte oft ein reges Treiben vor
der Haustür.
Draußen war es sternenklar. Die Zelte auf dem Gletscher waren
seit gestern mehr geworden. Kein Wunder, die zwei kommenden Tage
versprachen sehr gutes Wetter. Uli und ich gingen vom col des
Flambeaux hinunter in den Cirque Maudit. Also erst mal 200 Meter
Richtung Aiguille du Midi absteigen und dann in das Seitental
nach Westen auf 3500 Meter hinauf. Durch den Neumond war es in
dieser Nacht extrem dunkel. Das brachte Uli und mir noch einen
Verhauer mit einer zusätzlichen halben Stunde ein. So kamen wir
etwas verspätet an den Einstieg. Nicht weit weg beginnt auch der
berühmte Kuffnergrat zum Mont Maudit. Auf diesem konnte man
schon einige Stirnlampen entdecken. Doch unser Ziel war der
Teufelsgrat am Mont Blanc du Tacul. Auf diesem liegen ein paar
der schwersten Alpen 4000er.
Uli und ich standen schon einmal an dieser Stelle um die Route
abzuchecken. Der Nebel hatte uns allerdings einen Strich durch
die Rechnung gemacht. Starker Steinschlag in dem Gelände machte
auch einen ersten Vorstoß zu nichte. Jetzt war es Gott sei Dank
ruhig hier. Bis plötzlich ein lautes Donnern zu hören war. Es
kam aus dem gewaltigen Gletscherbruch des Col Maudit. Immer noch
war es Stock dunkel, man konnte nur erahnen wie weit es wohl weg
sein mochte. Doch das Geräusch kam näher und dass ziemlich
schnell. Obwohl Uli und ich hier am höher gelegenen
Gletscherrand außer Gefahr sein mussten, beschlossen wir eiligst
in die Felsen aufzusteigen. Dann stille, die Lawine war weit
entfernt zum stehen gekommen.
Fels und Firn bis 50° wechselten sich ab. Am kurzen Seil ging es
gut voran. Um 7:15 war der Gratfirst erreicht. Allerdings ein
gutes Stück vom eigentlichen Ausstieg Col du Diable entfernt.
Bis zum ersten Granitturm mussten daher noch einige scharfe
Schneewechten überwunden werden. Als wir Endlich den kleinen
Finger erreichten sahen Uli und ich Fußspuren! Wie es aussah war
eine weitere Seilschaft am Teufelsgrat unterwegs. Die hatten das
Col du Diable besser erwischt. Dadurch war ihnen ein gutes Stück
des ausgesetzten Grates erspart geblieben. Am Klettereinstieg
zum 4064m hohen Corne du Diable hatten wir das erste mal
Sichtkontakt. Diese kämpften gerade an einer Stelle des zweiten
Turms, dem Pointe Chaubert 4074m in einem Riss.
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Stephan
im Col du Diable angekommen. |
Blick vom
Corne du Diable 4064m auf den restlichen Teufelsgrat. |
Die Ehre der ersten Seillänge gebührte mir, diese war im 4.
Schwierigkeitsgrat noch recht einfach. Nach zehn Minuten stand
ich auf dem Gipfel. Uli kam nach und als auch er den höchsten
punkt erklommen hatte, seilten wir wieder in die Scharte ab.
Dort waren noch unsere Rucksäcke deponiert. „Das ging ja
schnell!“ Die Euphorie stieg stark an. Am zweiten Turm musste
das Gepäck aber mit. Uli der bessere Kletterer von uns beiden
stieg vor. In dem Riss hatte er, wie schon unsere Vorgänger,
Probleme. Erst nachdem er seinen Rucksack an einem Haken zurück
lies konnte er die Stelle klettern. Danach wurde es wieder
einfacher. Der 50 Meter höhere Gipfel war kurze Zeit später
erreicht. Nun lag es an mir. Schon die ersten Meter waren härter
wie am ersten Turm. Als ich den Haken mit Rucksack erreichte
machte ich diesen mit einer langen Schlinge an mir fest. Die
Schlüsselstelle kostete mir einiges an Nerven. Das weit
ausgegebene Seil von Uli lies mich immer wieder bis zum Beginn
des Risses absinken. Frei ging es mit den Rucksäcken nicht. Erst
mit einer Trittschlinge im Seil kam ich langsam über die Stelle.
Bis ich Uli erreicht hatte war viel Zeit vergangen. Diese Aktion
hatte mir einiges abverlangt. Wir seilten in die zweite Scharte
ab. Mit dem 60 Meter Doppelseil konnte ein kleiner Seilsalat bei
auffrischendem Wind nicht vermieden werden. Die Minuten
verstrichen. Uli ging zum ersten Stand des dritten Turms, dem
4097m hohen Pointe Médiane hinüber. Die beiden anderen
Bergsteiger waren gerade auf dessen Spitze angelangt. Da
plötzlich passierte es, ein lauter Schrei, dann poltern. Von
meiner Position konnte ich beobachten wie einer der Kletterer
zwei große Steinplatten lostrat. Die flogen nun genau in
Richtung Uli. Der wusste sofort was los war, doch die
Selbstsicherung hielt ihn gefangen. Er konnte sich nur noch so
gut es ging an den nackten Fels drücken. Ein Brocken änderte
schon bald die Flugbahn und drehte nach links ab. Der zweite
verfehlte Uli nur um einen halben Meter. Wütend brüllte er
hinauf. Die beiden erkundigten sich nach seinem Befinden. Uli
war jetzt etwas angeknackst. So stieg ich die nächste Seillänge
vor. Nun folgte eine schöne Verschneidung. Die wollte er sich
aber nicht nehmen lassen. Um 12 Uhr erreichten wir ein kleines
Plateau unter dem Hauptgipfel. Dort wurde trotz schlechtem
Zeitplan erst mal Pause gemacht.
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Uli auf
dem Gipfel der Corne du Diable 4064m. |
Pointe
Médiane 4097m auf dem Weg zur Point Carmen 4109m. |
Durch ein Loch kamen wir dann ohne Rucksäcke auf den höchsten
Punkt. Nachdem das Gepäck wieder aufgenommen war ging es an die
Abseilstelle. 40 Meter mussten Uli und ich eine senkrechte Wand
hinab. Dort erwartete uns eine schneereiche Scharte. Hier im
Schatten kühlte man schnell aus und in den Kletterschuhen wurde
es unangenehm Kalt. Der vorletzte Turm Point Carmen mit 4109m
kam als lächstes, versteckt hinter einer etwas niedrigeren
Felsnadel. Nach dessen Querung erreichten wir kurz unter dem
Gipfel eine kleine Plattform. Die letzten Meter zum höchsten
Punkt sahen übel aus. Doch Uli hatte einen guten Tag. Er konnte
diesen recht schnell über die ausgesetzte Westwand erklettern.
Ich kam nach und Gipfel Nummer 4 war geschafft. Jetzt war nur
noch die 4114m hohe Isolée zwischen uns und dem Mont Blanc du
Tacul. Das war laut unseren Informationen allerdings auch der
schwerste Turm. Im Gegensatz zu den anderen Fingern konnte
dieser jedoch ohne Überschreitung rechts umgangen werden. Die
Uhr zeigte bereits 16:15. Am Schlussanstieg zum Mont Blanc du
Tacul war die andere Seilschaft zu sehen. Sie hatten die Isolée
ausgelassen. Uli und ich seilten in die nächste Scharte ab. Ein
Schneegrat führte hinüber zum letzten Turm. Wir umgingen ihn
rechts und machten wieder ein Rucksackdepot. In der steilen
Ostwand konnten wir ein paar Haken ausmachen. Dort musste es
rauf gehen. Der Wind wehte immer stärker. Ohne Handschuhe wurden
die Finger schnell taub. Uli stieg vor und versuchte zur linken
Kante zu queren. Doch auf der Felsplatte waren die Griffe
vereist. Sollte es das gewesen sein? Uli gab nicht auf, er
probierte es unterhalb. So gelang es ihm, den nächsten Haken zu
erreichen. War die Schlüsselstelle damit geknackt? Nein! Es
folgte eine üble Verschneidung. Uli wuchs über sich hinaus und
schaffte das unglaubliche. Mit allem Mut und Kraft kämpfte er
sich Zentimeter für Zentimeter bis zum Standplatz. Nun war ich
an der Reihe. Raus aus den Handschuhen und rein ins Vergnügen.
Um Zeit zu sparen schwang ich mich mit Hilfe des Seils Richtung
Verschneidung. An der wurden meine Fingernägel ordentlich
aufgearbeitet. Spüren konnte man bei der Kälte nichts, aber als
ich dann am Standplatz wieder in den Handschuhen war begann der
Schmerz. Die nächste Seillänge zeigte sich deutlich leichter. 15
Minuten später standen wir auf dem Gipfel der Isolée.
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Stephan
mit Wilde Hunde Fahne auf der Isolée 4114m. |
Schlussanstieg des Teufelsgrates zum Südgipfel des
Mont Blanc du Tacul. |
Der Traum war wahr geworden. Uli und ich hatten es geschafft,
alle 5 Türme waren überschritten. Wir blieben nur für ein
schnelles Foto oben, dann lies uns der Wind die Flucht antreten.
Zum Glück konnte man mit dem langen Seil in einem Rutsch zu den
Rucksäcken zurück. Warm wurde uns erst wieder als wir Stiefel
und Jacke anhatten. 18:30 zeigte die Uhr nun. Den Spuren unserer
Vorgänger folgend ging es weiter den Grat hinauf. 200 Meter
höher zeigte sich das letzte Ziel, der 4287m hohe Mont Blanc du
Tacul. Um Punkt 20:00 Uhr erreichten Uli und ich den Gipfel.
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Schneegrat zum Hauptgipfel des Mont Blanc du Tacul
4248m. |
Stephan
am Gipfel des Mont Blanc du Tacul 4248m. |
Den Abstieg kannten wir bereits von der Mont Maudit Besteigung.
1 ½ Stunden wurden benötigt bis ins flache Col du Midi. Es wurde
dämmrig. Zu unserem Zelt hatten wir noch die ganze Überquerung
des Glacier du Geant Gletschers vor uns. Um 23 Uhr in absoluter
Dunkelheit war das Lager erreicht. Erschöpft krochen wir in die
Schlafsäcke und konnten das erste mal hier oben richtig gut
schlafen.
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